Veröffentlicht am: | 29.09.2016 |
Veröffentlicht von: | Johannes Seiler Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn |
Kategorie: | Forschungsprojekte Wissenschaftliche Publikationen |
Deutsche Familienpolitiker blicken neidvoll nach Frankreich: Dort machen mehr Frauen beruflich Karriere als bei uns, und zugleich werden mehr Kinder geboren. Beides beruht auf einem ebenso ausgefeilten wie austarierten System der Förderung von Familien durch den Staat. Die Politologin Dr. Sara Heinze hat in ihrer Dissertation am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn untersucht, wie sich dieses erfolgreiche System entwickelt hat. Jetzt ist die Arbeit als Buch erschienen.
Seit Adenauers Zeiten ist die Geburtenrate in Deutschland stark gesunken – eine große Bedrohung für die Stabilität unserer Sozialsysteme, warnen Experten. Ganz anders zeigt sich die Lage in Frankreich: Viel mehr Kinder werden geboren – zugleich machen mehr Frauen (auch viele Mütter) beruflich Karriere. „Beides beruht auf einer Vielzahl von Fördermodellen, mit denen der französische Staat verschiedene Lebens- und Familienentwürfe gleichermaßen unterstützt“, sagt Dr. Sara Heinze, die in ihrer Dissertation am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn das französische System untersucht hat. Die Arbeit der Wissenschaftlerin, die nun beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben arbeitet, ist jetzt als Buch erschienen.
Von „Familialisten“ und „Natalisten“
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag die Geburtenrate in Frankreich niedriger als in Deutschland. Viel mehr Menschen waren in der Landwirtschaft tätig, und der Lohn eines Mannes reichte meist nicht, um eine Familie zu ernähren. Daher leisteten meist auch die Frauen ihren Beitrag zum Einkommen, oft durch häusliche Handarbeiten. Das änderte sich, als 1938 der „Code familial“ in Kraft trat, das erste Familiengesetzbuch Frankreichs. Er führte die „Allocation de salaire unique“ ein, die „Alleinverdienerbeihilfe“: einen Zuschuss für Familien, in denen nur ein Elternteil arbeitete, und zwar in Höhe des Durchschnittslohns einer Arbeiterin. Der Staat unterstützte es also, wenn Frauen die eigene Arbeit aufgaben.
Wie Heinze erklärt, beruhte die französische Familienpolitik dieser Zeit auf zwei Denkrichtungen: Die „Familialisten“ verfochten das traditionelle Gesellschaftsbild vom Vater als dem Ernährer der Familie; die „Natalisten“ wollten vor allem die Geburtenzahl erhöhen. Beide Gruppen sahen durch die neue staatliche Leistung ihre Ziele gefördert: „Die Familialisten hatten ein großes Interesse daran, dass die Mutter ihrer traditionellen Rolle als Erzieherin der Kinder nachkommen konnte, ohne sich um das Einkommen der Familie kümmern zu müssen. Die Natalisten wiederum sagten: Die meisten Kinder bekommt eine Frau, die zu Hause bleibt.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor diese Methode einer Familienförderung, deren Ziel es ist, die Frauen ans Haus zu binden, langsam aber stetig an Rückhalt. Sara Heinze erläutert: „Zu Anfang der 1960er Jahre stellte man zwei Dinge fest: Immer mehr Frauen drängten auf den Arbeitsmarkt, gleichzeitig brach die Geburtenrate ein.“ Die Politik reagierte darauf allerdings erst nach den großen Studenten- und Arbeiterprotesten im Mai 1968. „In Frankreich kam es zu einer regelrechten Staatskrise“, sagt Dr. Heinze. Am Ende war es ein heilsamer Schock, wie die Politologin der Universität Bonn erklärt: „Auch konservativere Kreise gelangten zu der Erkenntnis, dass man auf die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse eingehen müsse.“ So zerbrach der jahrzehntelange Konsens zwischen „Natalisten“ und Familialisten. „Die Folgerung der Natalisten war: Wenn immer mehr Frauen arbeiten, muss man eben unterstützen, dass sie ihren Kinderwunsch umsetzen, damit die Geburtenzahlen steigen.“
Mai 1968: Die Einigung von Grenelle
So wurde die Staatskrise zur Chance für den Neuanfang: Um die Unruhen zu beenden, wurden die „Accords de Grenelle“ ausgehandelt, benannt nach der Adresse des Arbeitsministeriums. Diese Einigung bereitete den Weg für Reformen in der Familienpolitik, die im Januar 1972 in Kraft traten: Die Alleinverdienerbeihilfe wurde für Geringverdiener aufgestockt – und erstmals eine staatliche Beihilfe für berufstätige Frauen eingeführt, die ihre Kinder außer Haus betreuen ließen. „Um die Konservativen zu besänftigen, gab es zudem Rentenpunkte für nicht erwerbstätige Mütter“, berichtet Dr. Heinze. „Eine fein austarierte Reform, die letztlich zur Trendwende geriet.“
Heute bietet der französische Staat viele weitere Leistungen für Familien. Dass Frauen die Chance geboten werden muss, sowohl Kinder als auch einen Arbeitsplatz zu haben, stellt kein politischer Akteur mehr offen in Frage. Jede Regierung ergänzt die Familienleistungen entsprechend ihrer politischen Ausrichtung. Leistungen der Vorgängerregierung werden dabei kaum einmal abgeschafft – die Regierenden fürchten den Volkszorn. „Heute gesellen sich viele Unterstützungsleistungen nebeneinander“, bilanziert Dr. Sara Heinze. „Für jeden ist etwas dabei – egal, wie er sich sein Familienleben jeweils vorstellen mag. In dieser Vielfalt liegt der Schlüssel des Erfolgs.“
Publikation: Heinze, Sara: Von der Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit. Wandel in der Familienpolitik in Frankreich. Verlag Budrich UniPress, ISBN 978-3-86388-729-2, 32 Euro
Kontakt für die Medien:
Dr. Sara Heinze
Tel.: 01575/5986081
E-Mail: sara.heinze@gmx.net