Veröffentlicht am: | 28.07.2016 |
Veröffentlicht von: | Dr. Andreas Archut Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn |
Kategorie: | Forschungsergebnisse |
Wenn es zur starken Polypenbildung im Dickdarm kommt, entwickelt sich daraus unbehandelt mit hoher Wahrscheinlichkeit Darmkrebs. Oft liegt dem massenhaften Auftreten von Polypen eine erbliche Ursache zugrunde; die Erkrankung kann dann in bestimmten Familien gehäuft auftreten. Unter Federführung von Humangenetikern des Universitätsklinikums Bonn entdeckte ein Forscherteam bei Patienten Erbgutveränderungen im MSH3-Gen und identifizierte damit eine neue seltene Form des erblichen Darmkrebses. Die Ergebnisse wurden jetzt im „American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht.
Dickdarmpolypen wachsen als pilzförmige Geschwülste aus der Schleimhaut und werden einige Millimeter bis Zentimeter groß. Sie sind gutartig und verursachen meistens keine Beschwerden – allerdings können sie zu bösartigen Tumoren (Darmkrebs) entarten. Treten besonders viele Polypen im Dickdarm auf, sprechen Ärzte von „Polyposis“. Wissenschaftler haben bereits mehrere Gene entdeckt, die mit einer Polyposis zusammenhängen. „Rund ein Drittel der von der Erkrankung betroffenen Familien weist jedoch keine Auffälligkeiten in diesen Genen auf“, sagt Prof. Dr. Stefan Aretz, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. Deshalb müsse es noch mehr Gene geben, die an der Polypenbildung im Darm beteiligt sind.
Zusammen mit Pathologen des Universitätsklinikums Bonn, Wissenschaftlern der Yale University School of Medicine in New Haven (USA) und der Universitätsklinik Frankfurt hat das Team um Prof. Aretz das Erbgut von mehr als 100 Polyposis-Patienten anhand von Blutproben untersucht. Bei jedem Patient wurden alle bekannten, etwa 20.000 proteinkodierenden Erbanlagen gleichzeitig untersucht. Dabei filterten die Wissenschaftler aus der gigantischen Datenmenge die seltenen, möglicherweise relevanten genetischen Veränderungen wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen heraus. Bei zwei Patienten wurden Erbgutveränderungen (Mutationen) im MSH3-Gen auf Chromosom 5 entdeckt.
Nachweis der Ursachen gleicht einem Indizienprozess
„Die Herausforderung besteht darin, den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Mutationen in diesem Gen und der Erkrankung nachzuweisen“, sagt Prof. Aretz. Die Vorgehensweise gleicht einem Indizienprozess. Hierbei spielen auch die Familienangehörigen eine Rolle: Die erkrankten Geschwister müssen dieselben MSH3-Mutationen tragen wie der zuerst untersuchte Patient, nicht jedoch die gesunden Verwandten. Das war der Fall. Außerdem untersuchten die Wissenschaftler, welche Folgen der Funktionsverlust des MSH3-Gens bei den Patienten hat. „Es handelt sich um ein Gen für die Reparatur der Erbsubstanz“, berichtet Dr. Ronja Adam, eine der beiden Erstautorinnen aus dem Team von Prof. Aretz. „Die Mutationen führen dazu, dass das MSH3-Protein nicht gebildet wird.“ Da das Protein im Zellkern verschiedener Gewebe fehlte, kam es dort zur Anhäufung von genetischen Fehlern. Die nicht reparierten Mutationen führen dann unter anderem zum gehäuften Auftreten von Polypen im Dickdarm.
Der neu entdeckte Polyposis-Typ wird im Gegensatz zu vielen anderen Formen des erblichen Darmkrebses nicht dominant, sondern rezessiv vererbt. „Das bedeutet, dass für Geschwister ein Erkrankungsrisiko von 25 Prozent besteht; Eltern und Kinder der erkrankten Personen haben aber nur ein sehr geringes Erkrankungsrisiko“, erläutert Dr. Isabel Spier vom Institut für Humangenetik, die ebenfalls maßgeblich an der Studie beteiligt war.
Chancen für bessere Diagnosen und neue Medikamente
Die jährliche Darmspiegelung (Koloskopie) ist die wirksamste Methode der Krebsvorsorge bei Polyposis-Patienten. Hierdurch kann das Auftreten von Darmkrebs effektiv verhindert werden. Durch die Untersuchung des MSH3-Gens kann zukünftig in einigen weiteren, bisher ungeklärten Fällen eine klare Diagnose gestellt werden. Gesunde Risikopersonen der Familien können sich dann auf die Mutationen testen lassen. „Nur nachgewiesene Anlageträger müssen dann das intensive Vorsorge-Programm in Anspruch nehmen“, sagt der Humangenetiker. Darüber hinaus gewinne die Wissenschaft durch die Identifizierung von Mutationen im MSH3-Gen neue Einblicke in die Entstehung und die biologischen Grundlagen von Tumoren. Prof. Aretz: „Die Kenntnis der molekularen Mechanismen, die zu einer Krebserkrankung führen, ist auch die Voraussetzung für die Entwicklung neuer Medikamente.“
Publikation: Exome sequencing identifies biallelic MSH3 germline mutations as recessive subtype of colorectal adenomatous polyposis, The American Journal of Human Genetics, DOI: 10.1016/j.ajhg.2016.06.015
Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Stefan Aretz
Institut für Humangenetik
Biomedizinisches Zentrum
Universitätsklinikum Bonn
Tel. 0228/28751009
E-Mail: stefan.aretz@uni-bonn.de