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Warum greifen wir bevorzugt zum teureren Wein?

Veröffentlicht am:21.01.2015
Veröffentlicht von:Johannes Seiler
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Kategorie:Wissenschaftliche Publikationen
Forschungsergebnisse
Übersicht:

„Qualität hat ihren Preis!“ Dieser Slogan ist im Gehirn vieler Menschen fest verankert. Testpersonen greifen selbst dann bevorzugt zu teurerem Wein, wenn sich in den Flaschen eigentlich das identische Produkt befindet. Ein Forscherteam der Universität Bonn und der INSEAD-Business School in Frankreich hat untersucht, ob manche Konsumenten sich stärker durch Preisschilder und Markennamen beeinflussen lassen als andere. Ergebnis: Die Anfälligkeit für solche Marketingeffekte hängt mit der Größe bestimmter Gehirnstrukturen zusammen. Im „Journal of Marketing Research“ werden die Ergebnisse nun vorgestellt.

Beschreibung:

Mit dem höheren Preis verbinden viele die Erwartung, dass die teurere Variante auch besser schmeckt, selbst wenn sich die Produkte nicht unterscheiden. In den Experimenten des Forschungsteams haben die Testpersonen immer die gleichen Produkte konsumiert, einmal ausgezeichnet mit einem teuren Preis und einmal mit einem billigen Preis. Dieses Phänomen bezeichnen Wissenschaftler als „Marketing-Placebo-Effekte“: Wie ein Scheinmedikamente in der Medizin entfalten sie durch die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften eine Wirkung, ohne dass dies durch den Inhalt gerechtfertigt wäre.

„Marketingplacebos beeinflussen aber nicht nur die Erwartung, sondern auch die Sinneswahrnehmung und unser Verhalten“, sagt Prof. Dr. Bernd Weber vom Center for Economics and Neuroscience (CENs) der Universität Bonn. Ein Beispiel: In früheren Experimenten steigerten vermeintlich teurere Energy-Drinks die Konzentrationsfähigkeit besser als preisgünstige, obwohl es sich um das gleiche Getränk handelte. Solche Effekte hat die Wissenschaft auch für Schokolade, Medikamente und vieles mehr festgestellt.

„Bisher wurde aber kaum die Frage untersucht: Warum ist die Anfälligkeit für Marketingplacebos individuell unterschiedlich?“, berichtet Prof. Hilke Plassmann von der INSEAD-Business School in Fontainebleau (Frankreich). Gemeinsam führten die beiden Wissenschaftler am Life&Brain Zentrum der Universität Bonn hierzu mehrere Experimente durch. So waren verschiedene Probanden zu einer Verkostung eingeladen, bei der die gleichen Weine mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet waren. Die Teilnehmer mussten angeben, welcher Wein am besten schmeckte. Außerdem wurde mit einem Kernspintomografen erfasst, wie groß verschiedene Gehirnregionen der Testpersonen waren.

Zusammenhang mit der Größe von drei Gehirnregionen

Dabei stießen die Forscher insbesondere auf drei Gehirnbereiche: Sind Striatum und Teile des präfrontalen Cortex größer, steigt auch die Anfälligkeit für Marketing-Placebo-Effekte. Dagegen reagiert die Inselrinde (Cortex insularis) genau anders herum: Die Wirkung der Marketingplacebos ist umso größer, je kleiner diese Hirnregion ausgeprägt ist. Dem Striatum werden vor allem Reaktionen auf Belohnung zugeschrieben. Der präfrontale Cortex wird dagegen mit Rationalität und die Inselrinde mit der Wahrnehmung der Körperfunktionen in Verbindung gebracht.

Daraus leiteten die Forscher Hypothesen ab, die sie in weiteren Experimenten überprüften: Probanden bekamen abstrakte Gemälde gezeigt und sollten bewerten, welche Bilder ihnen am besten gefielen. Den Teilnehmern wurde zuvor mitgeteilt, dass bestimmte Gemälde angeblich vom berühmten Maler Wassily Kandinsky stammen, der Rest sei von Laien gemalt worden. Die vermeintlichen Bilder von Kandinsky gefielen den Probanden besser, als die von unbedeutenden Malern. „Auch hier zeigte sich wiederum, dass sich insbesondere Probanden mit den entsprechenden Persönlichkeitsmustern von dem Verweis auf Kandinsky stärker beeindrucken ließen“, berichtet Prof. Plassmann.

Aus den Experimenten lässt sich ableiten, dass die Anfälligkeit für Marketing-Placebo-Effekte mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen korreliert: Wer zum Beispiel aufgrund seiner Gehirnstruktur stärker auf Belohnungseffekte reagiert, lässt sich leichter durch künstlich erzeugte Erwartungen stimulieren. Dasselbe gilt für ausgeprägt rational angelegte Personen. Menschen, die dagegen stärker auf ihre Körperwahrnehmung setzen, sind dafür unempfindlicher. Prof. Weber: „Eine wichtige Frage ist, inwieweit man mit diesen Merkmalen geboren wird und wie sehr sie durch die Umwelt beeinflusst werden.“ Die Größe der Gehirnregionen kann sich durch Lernprozesse, zum Beispiel intensives Jongliertraining, verändern. „Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass bestimmte Konsumenten mit einer größeren Anfälligkeit gegen Marketing-Placebo-Effekte geboren werden, sondern dass es sich um eine Konsequenz des Verhaltens in der Vergangenheit handelt“, betont Prof. Plassmann.

Anwendungen auch für die Medizin denkbar

Die Forscher sehen über ökonomische Anwendungen im Marketingbereich hinaus auch Potenzial für medizinische Fragestellungen: Bestimmte Wirkstoffe, die bei Psychosen und Depressionen verschrieben werden, können als Nebenwirkung zum Beispiel zur Kaufsucht führen. „Der Zusammenhang zwischen der Anfälligkeit für Marketing-Placebo-Effekte, Persönlichkeit und Hirnstruktur könnte hier ein interessanter neuer Erklärungsansatz sein“, führt Prof. Weber aus. Die Wissenschaftler wollen ihre Forschung nun mit weiteren Experimenten vertiefen.

Publikation: Individual Differences in Marketing Placebo Effects: Evidence from Brain Imaging and Behavioral Experiments, Journal of Marketing Research, DOI: 10.1509/jmr.13.0613

Kontakt für die Medien:

Prof. Dr. Bernd Weber

Center for Economics and Neuroscience

Life & Brain Zentrum

der Universität Bonn

Tel. 0228/6885262

E-Mail: bernd.weber@ukb.uni-bonn.de