Veröffentlicht am: | 22.03.2024 |
Veröffentlicht von: | Svenja Ronge Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) |
Kategorie: | Wissenschaftspolitik Wettbewerbe / Auszeichnungen |
DFG vergibt wichtigste Auszeichnung für Forscher*innen in frühen Karrierephasen / Jeweils 200 000 Euro Preisgeld / Verleihung am 4. Juni in Berlin
Vier Wissenschaftlerinnen und sechs Wissenschaftler erhalten in diesem Jahr den Heinz Maier-Leibnitz-Preis und damit Deutschlands wichtigste Auszeichnung für Forscher*innen in der Aufbauphase ihrer Karriere. Das hat der Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beschlossen. Die Ausgezeichneten erhalten ein Preisgeld von jeweils 200 000 Euro, das sie bis zu drei Jahre für ihre weitere Forschungsarbeit verwenden können. Hinzu kommt eine 22-prozentige Programmpauschale für indirekte Projektausgaben. Insgesamt waren 168 Forscher*innen aus allen Fachgebieten vorgeschlagen worden. Die Auswahl traf der zuständige Ausschuss unter dem Vorsitz des DFG-Vizepräsidenten und Biochemikers Professor Dr. Peter H. Seeberger. Verliehen werden die Preise am 4. Juni in Berlin.
Die Heinz Maier-Leibnitz-Preise 2024 gehen an:
• Dr. Tomer Czaczkes, Verhaltensökologie, Universität Regensburg
• Dr. Christopher Degelmann, Alte Geschichte, HU Berlin
• Dr. Katharina Dobs, Kognitive Psychologie und Neurowissenschaften, Universität Gießen
• Dr. Claire Donnelly, Experimentelle Festkörperphysik, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden, und TU Dresden
• Dr. Eugene Kim, Funktionelle Genomforschung, Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main
• Juniorprofessor Dr. Christopher Morris, Maschinelles Lernen, RWTH Aachen
• Juniorprofessor Dr. Kai Markus Schneider, Experimentelle Gastroenterologie, Uniklinik RWTH Aachen
• Juniorprofessor Dr. Sebastian Sippel, Klimaforschung, Universität Leipzig
• Juniorprofessor Dr. Ze'ev Strauss, Judaistik, Universität Hamburg
• Dr. Dominika Wylezalek, Astrophysik, Universität Heidelberg
Der Heinz Maier-Leibnitz-Preis wird seit 1977 jährlich an herausragende Forscher*innen verliehen, die sich in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Laufbahn befinden. Die Auszeichnung soll die Preisträger*innen, die noch keine unbefristete Professur innehaben, darin unterstützen und anspornen, ihre wissenschaftliche Laufbahn weiterzuverfolgen. Gewürdigt wird dabei nicht allein ihre Dissertation, sondern insbesondere, ob sie im Anschluss bereits ein eigenständiges wissenschaftliches Profil entwickelt haben und mit ihren Forschungsergebnissen die Fachcommunity bereichern, sodass auch in Zukunft wissenschaftliche Spitzenleistungen von ihnen erwartet werden können.
Mit der Preisrunde 2023 übernahm die DFG den Preis fest in ihr Förderportfolio, nachdem sie ihn zuvor zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergeben hatte. Benannt ist der Preis seit 1980 nach dem Atomphysiker und früheren DFG-Präsidenten Heinz Maier-Leibnitz, in dessen Amtszeit (1974–1979) er erstmals vergeben wurde.
Die Preisträgerinnen und Preisträger im Einzelnen:
Dr. Tomer Czaczkes, Verhaltensökologie, Universität Regensburg
Der Biologe Tomer Czaczkes arbeitet an der Schnittstelle der Verhaltensökologie und der vergleichenden Psychologie. Dabei richtet er seinen Blick auf kleine Lebewesen mit komplexer Denkweise: An Ameisen und Hummeln erforscht er, wie sich das Verhalten sozialer Insekten bei der Futtersuche manipulieren lässt. Wie zum Beispiel verarbeiten Ameisen Informationen und nutzen diese strategisch? Wie nehmen sie ihre Umwelt wahr und treffen Entscheidungen? Mit fein ausgeklügelten Experimenten konnte er bereits zeigen, dass Ameisen ihr Verhalten ändern, wenn sie aufgrund vorheriger Erfahrungen enttäuscht wurden. Andererseits sind sie „begeisterter“ von einer Nahrungsquelle, für die sie härter arbeiten mussten. Dabei zeigt sich: Soziale Insekten lassen sich ähnlich manipulieren wie Menschen – zum Beispiel Kund*innen, die versteckter Werbung ausgesetzt sind. Aktuell versucht Czaczkes unter anderem, seine Erkenntnisse für die Kontrolle invasiver gebietsfremder Ameisenarten zu nutzen.
Dr. Christopher Degelmann, Alte Geschichte, HU Berlin
Historische und gegenwärtige Fragestellungen miteinander zu verknüpfen ist das Ziel von Althistoriker Christopher Degelmann. Dabei nimmt er verschiedene kulturwissenschaftliche, soziologische oder politikwissenschaftliche Ansätze unserer Zeit auf und nutzt sie, um ganz neue Perspektiven auf die antiken Quellen zu erschließen. Beispielsweise blickt er auf die Praxis der athenischen Demokratie, also dem Ursprung der heutigen westlichen demokratischen Staatsformen. Er untersucht, welchen Einfluss schon damals bestimmte sozial-kommunikative Mechanismen hatten, darunter Fake News und Gerüchte, Bekleidung und Rasuren, Schmährufe gegen Politiker oder auch Sozialtypen wie der des „Hipsters“. So erschließt er mit seiner Forschung die Bedeutung des antiken Erbes für unser heutiges Selbstverständnis. Umgekehrt versteht er es, auf neuartige Weise einen Perspektivwechsel zu vollziehen, indem er gegenwärtige Fragestellungen als Schlüssel für das antike Erbe verwendet.
Dr. Katharina Dobs, Kognitive Psychologie und Neurowissenschaften, Universität Gießen
Die Zuverlässigkeit, mit der wir Gesichter auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und bei verschiedenen Emotionsausdrücken erkennen und unterscheiden können, ist ein faszinierendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Katharina Dobs erforscht die Mechanismen der menschlichen visuellen Wahrnehmung, vor allem die funktionelle Spezialisierung im Gehirn. Darunter ist zu verstehen, dass bestimmte Hirnregionen spezielle visuelle Wahrnehmungsprozesse wie etwa die Gesichtserkennung verarbeiten. Die studierte Psychologin und Informatikerin und promovierte Neurowissenschaftlerin entwickelt an der Schnittstelle der verschiedenen Fächer neuronale Netzwerkmodelle. Dazu greift sie auf aktuelle Methoden der Künstlichen Intelligenz zurück. Sie konnte zum Beispiel bereits zeigen, welche Rolle dynamische Reize anstelle statischer Bilder bei der Gesichtserkennung spielen und wie das Trainieren eines künstlichen neuronalen Netzwerks zu einer funktionellen Spezialisierung führt – analog zu der im menschlichen Gehirn.
Dr. Claire Donnelly, Experimentelle Festkörperphysik, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden, und TU Dresden
Die einzigartigen physikalischen Eigenschaften von Nanomaterialien, also Werkstoffen mit sehr kleinen Abmessungen von einem bis 100 Nanometern (ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters), eröffnen seit Jahren neue Möglichkeiten in Technologie und Wissenschaft. Innerhalb mikroskopisch kleinster Festkörperstrukturen lassen sich nanometerskalierte Bereiche unterscheiden, die völlig unterschiedliche magnetische Eigenschaften haben. Über diese magnetischen Nanobereiche will die Physikerin Claire Donnelly mehr herausfinden. Ihre Forschung hat bereits dazu geführt, dass man heute die magnetischen Eigenschaften winziger dreidimensionaler Festkörpersysteme mit der Genauigkeit von einigen zehn Nanometern untersuchen und räumlich darstellen kann – und das zeitlich mit einer Auflösung im Picosekundenbereich, also dem Billionstel einer Sekunde. In ihren derzeitigen Arbeiten widmet sie sich auch der gezielten Herstellung von Nanomaterialien mit bestimmten magnetischen Eigenschaften.
Dr. Eugene Kim, Funktionelle Genomforschung, Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main
Zellen sind Meister darin, Informationen auf kleinstem Raum unterzubringen: Chromosomen als Träger der Erbanlagen werden um fast drei Größenordnungen komprimiert, damit sie in die Zellen passen. Aber wie schaffen es die Chromosomen, ihre dreidimensionale Struktur im Zellkern anzunehmen? Daran forscht die Biophysikerin Eugene Kim. Um die molekularen Prozesse hinter dem Packvorgang aufzudecken, nutzt und entwickelt sie Bildgebungstechniken der Einzelmolekül-Biophysik. So trug sie bereits maßgeblich dazu bei, zu verstehen, wie Chromosomen mithilfe des Proteinkomplexes Condensin organisiert und kompakt gemacht werden. Unter anderem fand sie heraus, wie mehrere solcher Condensine zusammenarbeiten, um die Struktur der Chromosomen zu formen, ohne zu kollidieren und sich gegenseitig zu stören. Zusammen mit ihren methodischen Entwicklungen und Entdeckungen hat Kim ein eigenes Forschungsprogramm zur 3-D-Organisation des Genoms etabliert.
Juniorprofessor Dr. Christopher Morris, Maschinelles Lernen, RWTH Aachen
Künstliche Intelligenz, insbesondere Methoden des maschinellen Lernens, haben in den vergangenen Jahren fast alle Bereiche von Computeranwendungen durchdrungen. Ob bewusst oder unbewusst, nutzen viele Menschen häufig maschinelles Lernen, zum Beispiel in der Bild- und Sprachverarbeitung. In anderen Bereichen findet es bisher jedoch seltener Anwendung, da hier komplexere vernetzte Datenstrukturen zugrunde liegen – zum Beispiel bei Verkehrsverbindungen, sozialen Netzen oder Molekülstrukturen. Diese Netzwerke lassen sich darstellen als Graphen, bestehend aus Knoten und Kanten. Christopher Morris arbeitet daran, Methoden des maschinellen Lernens für solche vernetzten Daten zu entwickeln und hat bereits wichtige Beiträge zur Theorie der sogenannten Graph-Neuronalen Netzwerke geleistet. Seine Studien zeigen, wann diese Methoden verlässliche Voraussagen treffen können und haben zu einer neuen Klasse von maschinellen Lernverfahren für Graphen geführt, die beweisbar stärker sind als bis dahin etablierte Verfahren.
Juniorprofessor Dr. Kai Markus Schneider, Experimentelle Gastroenterologie, Uniklinik RWTH Aachen
Die Funktionsweise des menschlichen Körpers ist komplex und zeichnet sich durch das Zusammenspiel verschiedener Organe aus. Diese Wechselwirkungen bezieht der Mediziner Kai Markus Schneider in seine Forschungsarbeiten ein und hat so jüngst dazu beigetragen, die sogenannte Darm-Hirn-Achse weiter aufzuschlüsseln. Ein von ihm aufgedeckter molekularer Schaltkreis zeigt, dass psychologischer Stress Entzündungen des Darms verstärkt. Die Ergebnisse schlagen sich in modernen Behandlungsansätzen nieder, die bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nun auch Stresssignale des Gehirns auf den Darm reduzieren sollen. Bereits seit seiner Studienzeit beschäftigt sich Schneider mit diesem integrativen Ansatz – seine Forschungen konzentrierten sich zunächst darauf, wie der Darm Entzündungsprozesse in der Leber und in den Gallenwegen beeinflusst. Der Begriff „Bauchgefühl“ habe durch seine Forschung eine neue Bedeutung erhalten, so der Auswahlausschuss.
Juniorprofessor Dr. Sebastian Sippel, Klimaforschung, Universität Leipzig
Ob Dürre, Starkregen, Sturm oder Hagel – inwieweit hängen extreme Wetterereignisse mit dem Klimawandel zusammen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Geoökologe und Klimaforscher Sebastian Sippel. Damit bewegt er sich im noch jungen Forschungsfeld der Klima-Attribution, in dem die relativen Beiträge verschiedener ursächlicher Faktoren zu einem Klimaereignis bewertet werden. Seine Arbeiten haben bereits einen grundlegenden Beitrag zu unserem Verständnis von Klimaänderungen und ihren Auswirkungen geleistet. Mit einer neu entwickelten Methodik zeigte er beispielsweise, dass der Klimawandel als globaler Fingerabdruck in jedem einzelnen täglichen Wettermuster nach 2012 nachgewiesen werden kann. In einer anderen Studie gelang es ihm, den Einfluss natürlicher Klimaschwankungen auf Zeitskalen über mehrere Jahrzehnte zu quantifizieren. In seinen vielfältigen Arbeiten befasst er sich auch mit den Auswirkungen globaler Klimaveränderungen auf den Wasser- und Kohlenstoffkreislauf.
Juniorprofessor Dr. Ze'ev Strauss, Judaistik, Universität Hamburg
Wie gelangte der spätmittelalterliche Gelehrte Meister Eckhart zu seinen kühnen theologisch-philosophischen Gedanken? Wer ermutigte den Philosophen Hegel Anfang des 19. Jahrhunderts dazu, ein idealistisches System zu entwerfen? Der Judaist Ze'ev Strauss stellt solche Fragen und untersucht dabei das Beziehungsgefüge und die ideengeschichtlichen Verflechtungen jüdischer und christlicher Traditionen. Dabei zeigt er neue Einsichten in Unbekanntes, Übersehenes und vor allem in die Beziehungen von Texten, zwischen denen bislang kein Zusammenhang erkannt wurde. So war es etwa Ibn Gabirol, ein andalusischer jüdischer Philosoph, der Meister Eckhart dabei half, das Christentum von seiner spekulativen Seite aus zu entdecken; und es war der jüdische Philosoph Philo von Alexandria (* um 15/10 v. Chr.), der tief in das Hegelsche Philosophieren hineinwirkte. Strauss‘ Forschung trägt dazu bei, die Diskussion um die Gleichstellung jüdischer Mitbürger*innen und die Entwicklung des modernen Antisemitismus historisch neu einzubetten.
Dr. Dominika Wylezalek, Astrophysik, Universität Heidelberg
Die Astrophysikerin Dominika Wylezalek beschäftigt sich mit der Frage, wie Galaxien entstehen und welche besondere Rolle supermassive Schwarze Löcher in ihren Zentren dabei spielen. Dazu beobachtet sie aktive Galaxienkerne (Quasare), die zu den leuchtkräftigsten Objekten im Universum gehören. Sie legte bereits erste Nachweise dafür vor, dass die Energie, die von den supermassiven Schwarzen Löchern in die Umgebung gepumpt wird, relevanten Einfluss auf die Sternentstehung und damit auf die heutige Form von Galaxien nimmt. In einem Forschungsprojekt der NASA sammelte sie Daten des James-Webb-Weltraumteleskops und fand einen Galaxienhaufen mit einer großen Anzahl massereicher Galaxien im Entstehungsprozess um einen extrem roten Quasar. Der Galaxienhaufen stammt aus der kosmologischen Epoche sehr aktiver Sternentstehung („Kosmischer Mittag“) vor etwa zehn Milliarden Jahren. Die Beobachtung hilft, zu verstehen, wie Galaxien im frühen Universum zu dem kosmischen Netz verschmolzen sind, das wir heute sehen.
Weiterführende Informationen
Die Verleihung der Heinz Maier-Leibnitz-Preise 2024 findet am 4. Juni um 15 Uhr im silent green Kulturquartier in Berlin statt. Vertreter*innen der Medien erhalten im Vorfeld der Veranstaltung weitere Informationen.
Informationen zu den Preisträgerinnen und Preisträgern 2024 in Kürze unter:
www.dfg.de/maier-leibnitz-preis
Medienkontakt:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DFG, Tel. +49 228 885-2109, presse@dfg.de
Ansprechpartnerin in der DFG-Geschäftsstelle:
Dr. Christina Elger, Wissenschaftliche Preise, Tel. +49 228 885-3117, christina.elger@dfg.de