Veröffentlicht am: | 04.01.2024 |
Veröffentlicht von: | Sören Dürr Bundesamt für Naturschutz |
Kategorie: | Wissenschaftliche Publikationen |
Der Zustand der Süßwasserfische und Neunaugen Deutschlands hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Das zeigt die neue Rote Liste, die das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) jetzt veröffentlicht haben. Gefährdungsursache Nummer eins sind menschliche Eingriffe, etwa der Ausbau und die Regulierung von Gewässern. Darüber hinaus wirken sich vermehrt auftretende Dürresommer und höhere Gewässertemperaturen auf Fische und Neunaugen aus. So sind heute mehr als die Hälfte der 90 bewerteten einheimischen Süßwasserfisch- und Neunaugen-Arten bestandsgefährdet oder ausgestorben.
Während in der letzten Roten Liste von 2009 noch 22 Arten als bestandsgefährdet galten, sind es jetzt 38 Arten. Die neue Rote Liste zeigt auch: Insgesamt 11 Arten sind direkt vom Aussterben bedroht, darunter bekannte Arten wie der Lachs und das Meerneunauge. Weitere 9 Arten, zum Beispiel der Europäische Stör oder der Bodensee-Kilch, sind bereits ausgestorben oder verschollen. Überraschend ist, dass etwa 30 Prozent der mäßig häufigen bis sehr häufigen Arten, beispielsweise die weit verbreitete Brasse, eine negative Bestandsentwicklung in den letzten 20 Jahren aufweisen.
„Es ist ein Warnzeichen, dass inzwischen auch bei den häufigeren Arten der Süßwasserfische eine schlechte Bestandsentwicklung festzustellen ist. Die zwischenzeitige Erholung von Fischbeständen Ende des 20. Jahrhunderts durch die Verbesserung der Wasserqualität unserer Gewässer hat allerdings gezeigt, dass mit den richtigen Maßnahmen Erfolge für den Artenschutz erreicht werden können. Es sind aber weitere gezielte Anstrengungen für die Erhaltung der einheimischen Arten und die Renaturierung ihrer Lebensräume notwendig“, sagt BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm.
Die Hauptgefährdungsursachen für Süßwasserfische und Neunaugen sind bereits seit langem bekannt: Barrieren und Querbauwerke stellen meist unüberwindbare Wanderhindernisse dar. So führte dies vielerorts zum Aussterben des Lachses. Wasserkraftwerke können daneben zu Verletzungen und hohen Todesraten bei Fischen führen. Die Gewässerregulierung und der -ausbau haben ökologisch wertvolle Flachwasserbereiche am Ufer und in der Aue zerstört und sowohl Verlauf als auch Fließgeschwindigkeit und Dynamik der Fließgewässer verändert. Das dramatische Fischsterben in der Oder im August 2022 zeigte weitere direkte und indirekte Folgen von Gewässerverschmutzung im Zusammenspiel mit dem Gewässerausbau auf.
Daneben können Folgen des voranschreitenden Klimawandels beobachtet werden: „Die vermehrt auftretenden Dürre- und Hitzejahre haben vielerorts die Fischfauna beeinträchtigt. Stark betroffen sind die zahlreichen hitzeempfindlichen Arten wie unsere einheimische Forelle, welche nun als gefährdet eingestuft werden musste. Die neue Rote Liste dokumentiert den Beginn einer tiefgreifenden Veränderung der Fischbestände unserer Gewässer“, erklärt Dr. Jörg Freyhof, Hauptautor der Roten Liste und Wissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin.
Veränderungen der Fischbestände gehen auch mit der zunehmenden Verbreitung gebietsfremder und zum Teil invasiver Arten wie der Regenbogenforelle oder dem Sonnenbarsch einher: Neben der Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum können gebietsfremde Arten auch Fischkrankheiten übertragen, sich mit einheimischen Arten hybridisieren oder diese als Beute nutzen.
Neben der Gefährdungssituation haben die Autoren und Autorinnen der Roten Liste auch die Verantwortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhaltung der Fisch- und Neunaugenarten eingeschätzt: Für 21 Arten besteht eine erhöhte nationale Verantwortlichkeit; sieben davon sind Endemiten für Deutschland. So kommen beispielsweise die vom Aussterben bedrohten Arten Ammersee-Kilch, Fontane-Maräne, Chiemsee-Renke oder Schaalsee-Maräne nur in Deutschland vor.
Hintergrund
Die Roten Listen der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands
Die bundesweiten Roten Listen werden vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgegeben und in dessen Auftrag vom Rote-Liste-Zentrum (RLZ) koordiniert. Erstellt haben die Rote Liste der Süßwasserfische und Neunaugen Fachleute des Museums für Naturkunde Berlin in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, des Rote-Liste-Zentrums sowie Vertreterinnen und Vertreter aller Bundesländer.
In den bundesweiten Roten Listen wird der Gefährdungsstatus von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten für den Bezugsraum Deutschland dargestellt. Die Roten Listen sind zugleich Inventarlisten für einzelne Artengruppen und bieten Informationen nicht nur zu den gefährdeten, sondern zu allen in Deutschland vorkommenden Arten der untersuchten Organismengruppen. Die Autorinnen und Autoren bewerten die Gefährdungssituation insbesondere anhand der Bestandssituation und der Bestandsentwicklung. Die Grundlagen für die Gefährdungsanalysen werden von einer großen Zahl von ehrenamtlichen Artenkennerinnen und Artenkennern ermittelt. Die Roten Listen selbst werden von den Autorinnen und Autoren ebenfalls in weiten Teilen ehrenamtlich erstellt.
Für den Schutz der Artenvielfalt in Deutschland stellen Rote Listen eine entscheidende Grundlage dar. Sie dokumentieren den Zustand von Arten und mittelbar die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur. Damit sind sie Frühwarnsysteme für die Entwicklung der biologischen Vielfalt.
Das Rote-Liste-Zentrum
Das Rote-Liste-Zentrum koordiniert seit Dezember 2018 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz die Erstellung der bundesweiten Roten Listen. Das Bundesumweltministerium fördert das Zentrum mit jährlich 3,1 Millionen Euro. Es ist am Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn angesiedelt und wird fachlich vom BfN betreut. Das Rote-Liste-Zentrum unterstützt die Autoren und Autorinnen sowie weitere beteiligte Fachleute der Roten Listen, indem es sie bei der Erstellung fachwissenschaftlich begleitet und Kosten für die Koordination, die Arbeitstreffen der Fachleute und andere vorbereitende Arbeiten übernimmt.